Mitte Juni kam der zweite Teil des Pixar-Films „Alles steht Kopf“ (im Original: „Inside Out“) in die österreichischen Kinos und ich habe ihn mir – als bekennender Fan des ersten Teils – bereits zweimal angesehen. Die Figuren „Angst“, „Ekel“, „Kummer“, „Wut“ und „Freude“ – also die Emotionen des ersten Teils des Films aus dem Jahr 2015 – waren 2019 das Erste, was mit mir in meine erste eigene Praxis als Psychotherapeutin (damals noch im Status unter Supervision) einziehen durfte. Mitsamt ihrem Steuerpult, einigen „Erinnerungskugeln“ und dem rosa Elefanten – dem unsichtbaren Freund -„Bing Bong“. Anlässlich des zweiten Teils dürfen diese Figuren jetzt gerade meinen neuen Praxisraum zieren. Im zweiten Teil ziehen „Scham“, „(Selbst-)Zweifel“, „Langweile“, „Neid“ und für kurze Visiten auch „Nostalgie“ ein, in meiner Praxis fehlen sie – noch!
In den beiden Filmen lernen wir Riley Andersen kennen, sehen einen Rückblick ihrer Lebensjahre von Geburt an und steigen dann in das Leben der 11-Jährigen ein, im zweiten Teil sehen wir sie als Teenagerin mit 13 Jahren. Wir bekommen einen Einblick in ihre Innenwelt – und ein bisschen auch in die Innenwelten ihrer Eltern und der anderen Menschen um sie herum. Wir lernen Rileys Emotionen, Erinnerungen und Glaubenssätze kennen – und können dabei angeregt werden, vielleicht auch ein bisschen selbst Innenschau zuhalten. Wer steuert denn wohl unser eigenes Steuerpult im Gehirn? Wer hat jetzt gerade das Kommando? Diese Zeilen schreibe ich gerade mit meiner begeisterungsfähigen „Freude“, das ist klar. 🙂
Ich arbeite in meiner Praxis sehr gerne mit Bildern oder Metaphern für Emotionen und auch mit inneren Anteilen. In verschiedenen Bereichen der Therapie und Kommunikation trägt diese „Anteilearbeit“ unterschiedliche Bezeichnungen, etwa das „Innere Team“ (nach Schulz von Thun), das „Innere Parlament“, „Parts Party“ (aus der Praxis der Systemischen Therapie) oder IFS – „Internal Family System“, also die „Innere Familie“ (nach Richard Schwartz). Dabei gibt es verschiedene Arten von inneren Anteilen, manche Zugänge unterscheiden kindliche und erwachsene, helfende oder schützende Anteile, Bezeichnungen wie das Innere Kind, den Selbstkritiker, den Antreiber uvm.
Und natürlich kann man auch Emotionen externalisieren und personifizieren, so kann man z.B. seine Wut fragen, was sie denn zu sagen hat, Kummer zu Wort kommen lassen oder auch die Angst interviewen, welche Aufgabe sie denn zu haben meint. Und natürlich können auch Anteile Emotionen haben! Manchen Menschen fällt es leicht, Bilder und Bezeichnungen für ihre inneren Anteile und Emotionen zu finden, für manche ist das aber auch eine größere Herausforderung. In meiner Praxis springen dann hie und da die kleinen Figuren von „Alles steht Kopf“ zur Erklärung und Veranschaulichung ein und ermöglichen einen spielerischen und durchaus auch humorvollen Zugang zu Emotionen und zur Innenschau.
In den Filmen bekommen wir vermittelt, dass jede Emotion ihren Sinn und ihre Berechtigung hat, dass wir sie alle benötigen, auch Freude und Kummer gehören gleichermaßen zu uns, selbst wenn wir sie als so gegensätzliche Emotionen erleben. Die Emotionen wegzusperren gelingt genauso wenig, wie sie nachhaltig gänzlich zu verbannen und loszuwerden, und auch die inneren Anteile kann man nicht vor die Tür setzen. Sie gehören zu uns und wollen integriert werden und in uns „wohnen“ dürfen. Unsere Emotionen zu „beheimaten“, das empfinde ich persönlich als ein schönes Bild.
Manche Anteile und Gefühle sind manchmal im Widerstreit, manche „verstehen sich“ gut und manche existieren einfach nebeneinander – so oder so sind sie alle Puzzlesteinchen, die uns ausmachen. Ja, „Zweifel“ muss manchmal vielleicht ein bisschen zum Entspannen „inspiriert“ (oder überredet…) werden, „Wut“ braucht hie und da wohl etwas Abkühlung und gutes Zureden, „Freude“ kann da und dort über das Ziel hinausschießen…. – wie gut, dass da mehrere Anteile und Emotionen in uns sind, die für Balance und Ausgeglichenheit sorgen können und im Idealfall gut zusammenarbeiten! Wie gut, dass „Angst“ oder ein ängstlicher Teil an die Gefahren und Sicherheitsvorkehrungen denkt, dass „Wut“ oder ein wütender Teil unsere Grenzen wahrt und „Kummer“ oder ein trauriger Teil auch einmal unsere Tränenkanäle reinigt und dafür sorgt, dass wir uns anderen Menschen empathisch zuwenden können und uns auch einmal trösten lassen! Was würden wir vielleicht irrtümlich zu uns nehmen (Brokkoli?!)), wenn „Ekel“ uns nicht zur Seite stünde, wie wären wir uns unseres Selbst, unserer Werte und der anderen Menschen bewusst ohne „Scham“?
Die beiden Filme haben jeweils eine wichtige „Lehre“ oder Botschaft für uns – aber die können Interessierte ja selbst herausfinden…
Meine „Freude“ hat gerade beschlossen, dass ich demnächst einen ausführlicheren Artikel über die beiden Filme und ihre zugrundliegenden psychologischen wissenschaftlichen Fakten schreiben sollte. (Wenn es soweit ist, wird der Artikel natürlich auf meiner Homepage unter „Publikationen“ zu finden sein.) 😊
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