Das Musical „Wicked“ von Stephen Schwartz, das auf der Romanvorlage von Gregory Maguire beruht, fand am 3.10.2025 seinen Weg zur Erstaufführung in Österreich und wurde spätestens 2024 durch die Hollywood-Verfilmung (Teil 2 kommt Ende dieses Jahres in die heimischen Kinos) weltweit bekannt. Anlass genug für mich, sich mit dieser Geschichte und der Hauptfigur, der grünen Hexe Elphaba, zu befassen. Was macht dieses Musical abseits der Musik so erfolgreich, dass es über viele Jahre am Broadway und am Londoner Westend gespielt wird und schließlich auch in einen zweiteiligen Hollywood-Film verwandelt wurde? Die Geschichte der smarten Elphaba ist eine genauere Betrachtung wert. Was können wir von ihr bzw. von ihrer Geschichte lernen?

Der Roman bzw. das Musical (oder der Film) erzählt die Vorgeschichte zu „The Wizard of Oz“ („Der Zauberer von Oz“). Die Protagonistin Elphaba kommt nach einer Affäre ihrer Mutter als grünes Baby (und mit speziellen Fähigkeiten, von denen sie anfangs nichts weiß…) auf die Welt und hat es ab diesem Zeitpunkt nicht leicht. Sie wird aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres „Anders-Seins“ ausgegrenzt. Wir begleiten beim Lesen des Romans oder beim Betrachten des Musicals oder Films die Hauptfigur auf ihrem Weg der Identitätsfindung, der Entdeckung ihrer Zauberkräfte und Werte, wir nehmen Anteil am Finden ihrer eigenen Stärke. Dabei kämpft sie mit Ausgrenzung, Einsamkeit, Unsicherheit, erfährt aber unter anderem auch durch die sich entwickelnde Freundschaft mit ihrer Studienkollegin Galinda – welche in dem Stück ebenfalls eine Wandlung durchläuft – eine Entwicklung. Sie findet über die herausfordernden Ereignisse in ihrem Heimatland, die sie dazu veranlassen, aktiv zu werden, zu ihrer Stärke und ihren Werten, für die sie sich einsetzt. Von Anfang an ist Elphaba, klar verdeutlicht durch ihre grüne Hautfarbe, anders als alle anderen. Von ihrem Vater wird sie ebenso zurückgewiesen wie von den anderen, die Elphaba, die noch dazu gescheit und anders als viele ihrer Kolleg:innen im Unterricht sehr interessiert ist, verlachen. Als schließlich auch ihre Zauberkräfte für die Mitstudierenden an ihrer Schule erkennbar werden, meiden sie sie – wohl aus Angst – noch mehr. Im Laufe der Geschichte entsteht jedoch zwischen ihrer Zimmergenossin Galinda bzw. Glinda, die ein – zumindest nach außen hin – ziemlich entgegengesetztes Leben in Beliebtheit, Zugehörigkeit, Bewunderung und fröhlicher Oberflächlichkeit führt, eine Freundschaft und zwischen ihr und dem Partyprinzen Fiyero Liebe. Gemein haben Elphie – wie Glinda sie nennt – und Glinda, dass sie mit sozialen Herausforderungen und Erwartungen zu kämpfen haben. Elphie sehnt sich nach Zugehörigkeit, während Glinda viel Energie und Gedanken darauf verwendet, durch ihr Äußeres und ihr immer fröhliches Verhalten, bewundert zu werden und diese Bewunderung auch nicht zu verlieren. Elphaba zeigt in der Geschichte einen starken Gerechtigkeitssinn, Mitgefühl, Resilienz und nicht zuletzt Mut, als sie sich gegen die Machenschaften des Zauberers von Oz auflehnt. Durch den Song „For good“ (in der deutschen Version „Wie ich bin“) erfahren wir, wie Glinda und Elphaba sich im Laufe ihrer gemeinsamen Geschichte mit einander und durch einander verändert und entwickelt haben.

Was können wir also aus diesem Stück mitnehmen? Peter Andrew Danzig nennt in seinem Beitrag „Wicked and the Importance of Marginalized Representation“ auf Psychology Today mit Bezug auf den „Wicked“-Film drei wesentliche Punkte, die diese Geschichte uns zur Verfügung stellt: „‘Wicked‘ offers an entry into a complex narrative on social norms. Films can refflect real struggles, threats, pain, resistance, resilience, and humanity. Identities and history are often schaped not by reality, but from the stories we are told.“[1] So können wir also einerseits zum Nachdenken über soziale Normen und Erwartungen und über Herausforderungen des Lebens angeregt werden, andererseits aber auch durch Elphabas Geschichte Zugang zu Aspekten der eigenen Geschichte finden. Viele Menschen erfahren Ausgrenzung und haben mit Einsamkeit und Unverständnis oder Diskriminierung zu kämpfen. „Wicked´s world shows us characters on the margins of society, a mirror for all of us who grapple with the need for inclusive representation.“[2] Peter Andrew Danzig sieht in dem Film das Potenzial, dass Zuseher:innen sich mit dem großen gesellschaftlichen Thema der Ausgrenzung beschäftigen: „By offering a rich, emotional narrative centered around Elphaba’s experiences of alienation, the film has the potential to challenge entrenched societal views about power, varied lived experiences, and what it means to belong.“[3]

In einem anderen Beitrag auf Psychology Today mit dem Titel „‘Wicked’s Call to Kindness“ befasst sich Alex Snider auf den ersten Teil des „Wicked“-Films bezogen mit der Frage, warum Zuseher:innen mit dieser Geschichte in empathische Resonanz gehen: „The story resonates because we’ve all felt missunderstood, judged, or unfairly labeled. And we’ve also judged others […]“[4] Durch Elphabas Geschichte sind die Zuseher:innen gefordert, sich mit der Unterscheidung „gut oder böse“ auseinanderzusetzen, das schnelle Urteilen und Bewerten zu hinterfragen und Narrative von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten: „At its heart, Wicked is about perspective. It challenges the villain narrative by showing how Elphaba, the Wicked Witch oft he West, was transformed by pain, rejection, and bad luck.“[5] Perspektivenwechsel können eine große Rolle nicht nur bei der Betrachtung von (Lebens-)Geschichten anderer spielen, sondern auch bei der Auseinandersetzung mit unseren eigenen Lebensgeschichten oder herausfordernden Lebensereignissen und können hilfreich dabei sein, von schnellen oder harten Bewertungen und Urteilen mehr zu einer mitfühlenden Haltung zu gelangen. Mitgefühl mit sich selbst und mit anderen ist eine wichtige Kompetenz im Umgang mit Herausforderungen des Lebens und resilienzfördernd. Elphaba gelingt es in dem Stück schließlich „frei und schwerelos“ ihren Weg zu gehen (im Original: „Defying Gravity“) – die Welt hat sich dabei (noch) nicht verändert – aber sie sich.
[1] https://www.psychologytoday.com/us/blog/dont-toy-with-me/202501/wicked-and-the-importance-of-marginalized-representation; letzter Zugriff 13.10.2025
[2] ebda
[3] ebda
[4] https://www.psychologytoday.com/us/blog/human-bureaucracy/202412/wickeds-call-to-kindness; letzter Zugriff 13.10.2025
[5] ebda
